12 Aug 2010

365 Tage Einkaufsstopp im Selbstversuch

Ende Juli 2009 stehe ich vorm Kleiderschrank und bemerke – mal wieder – wie voll der ist, für eine frisch gekaufte Jacke ist kaum noch Platz. Dabei trage ich nur einen Bruchteil der Sachen, die dafür aber regelmäßig. Und natürlich bin ich auch regelmäßig der Meinung, nichts zum Anziehen zu haben. Dann brauche ich etwas Neues, ist ja klar. Besonders nachhaltig ist das nicht und auch nicht besonders einfallsreich.

Ich beschließe ein Experiment: 365 Tage keine neuen Klamotten für mich kaufen. Stattdessen die vergessenen und schrulligen Teile in die Garderobe einbeziehen und neu kombinieren. Vorhandene Ressourcen kreativ nutzen, so die Philosophie. Flohmarkt-Käufe und –Verkäufe sollten erlaubt sein. Wie würde es mir damit ergehen?

Ein Jahr ist vergangen. Zeit für eine Bilanz:

  • Habe ich durchgehalten? Wenn ich von den 2 Paar Sandalen und 2 Gürteln, die ich mir gekauft habe, großzügig absehe, habe ich mir tatsächlich nichts Neues gekauft. Vom Flohmarkt kamen einige wenige Sachen in meinen Schrank. Verkauft habe ich selbst nichts (wie ursprünglich geplant), nur ein paar Kindersachen, aber die zählen nicht. Der Radius der Kleidungsstücke, die ich regelmäßig trage, hat sich schon erweitert, aber es gibt immer noch genug ungenutztes Potential. Ein paar Sachen habe ich auch endgültig weggegeben. Kaputte Reißverschlüsse und aufgerissene Nähte habe ich tendenziell häufiger repariert oder reparieren lassen.
  • Welche Auswirkungen hatte das Experiment? Der wichtigste und am wenigsten erwartete Effekt war der Zeitgewinn. Kataloge wanderten ungesehen in den Müll, keine Streifzüge zum Nur-mal-so-Umsehen durch die Läden, keine Modezeitschriften, kein Klicken durch Online-Shops. Vergleichen, Auswählen, Anprobieren – das ist auch Stress und den hatte ich nicht mehr.
  • Wie hat es sich angefühlt? Zunächst war da die Erleichterung, dem Kaufstress entronnen zu sein, auch eine gewisse Selbstzufriedenheit (Vorsicht, Gutmenschentum!). Dann kamen auch Momente, in denen ich gern etwas Neues gekauft hätte. Eine Lieblingsstrickjacke war versehentlich in der Kochwäsche gelandet, am liebsten hätte ich mich mit einem neuen Ersatz getröstet. Der Kauftrieb war also da. Perfiderweise wurde in solchen Situationen aus dem ursprünglichen Gedanken („Ich kaufe nichts, weil ich aus dem Reichtum meines Kleiderschranks schöpfe“) ein ganz anderer Gedanke: "Ich darf nichts kaufen, weil ich Ressourcen sparen muss." So wie man zwanghaft kaufen kann, kann man auch zwanghaft nicht kaufen. Der Gedanke, nicht genug zu haben, der jedesmal dahinter steckt, ist extrem hartnäckig.
  • Und nun? Vor ein paar Tagen bin ich durch einige Läden gelaufen – und habe gestaunt: Neue Hosenschnitte, andere Stoffe. Auf die neue Mode war ich ja nicht vorbereitet. Natürlich war mir Vieles schon hier und da auf der Straße aufgefallen, da fand ich es kreativ und individuell. Aber als ich die Sachen dann nach Größen sortiert in den Regalen sah, war die Vorstellung von Individualität dahin. Keine neue Erkenntnis, aber so krass hatte ich es noch nicht erlebt.
Übrigens: Auf die Idee mit dem Experiment war ich unter anderem durch das Uniform Project gekommen: Sheena Mattheiken trug ein Jahr lang das gleiche Kleid, aber jeden Tag mit gebrauchten oder geschenkten Accessoires völlig anders gestylt. Mit dem Projekt zeigte sie nicht nur, dass nachhaltige Mode individuell und fantasievoll sein kann, sondern sammelte auch Spenden für die Schulbildung von Kindern in indischen Slums. Dafür wurde sie von der Zeitschrift Elle sogar zu einer der Frauen des Jahres 2009 gekürt. Unbedingt ansehen!

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